Common Ground
Schwerpunktregion der Leipziger Buchmesse 2020
Dass die Leipziger Buchmesse 2020 abgesagt werden musste, bedauern die Partner des Netzwerks TRADUKI sehr.
Als Schwerpunktregion der Leipziger Buchmesse hätten sie gerne unter dem Motto „Common Ground. Literatur aus Südosteuropa“ ihre Autor*innen, ihre Literatur und ihre Kultur vorgestellt. Doch, es war ohnehin auf längere Sicht geplant, dem deutschsprachigen Publikum die bislang noch wenig bekannte Literatur aus Südosteuropa näher zu bringen: So wird das auf drei Jahre angelegte Projekt als Schwerpunktregion 2020–2022 auch in den nächsten beiden Jahren auf der Leipziger Buchmesse eine wichtige Rolle spielen.
Seit dem 23. April 2020, dem Welttag des Buches, präsentiert der „Common Ground“ ausgewählte Gäste aus dem diesjährigen Programm „Herkunft und Zugehörigkeit“ beim „Literarischen Frühstück“. Autor*innen und Übersetzer*innen bringen persönliche Erfahrungen und Einschätzungen und natürlich eine ganze Menge Lesestoff aus Südosteuropa direkt an den Frühstückstisch.
Literarisches FrühstückIm Jahr 1980, bereits im französischen Exil lebend, schrieb Danilo Kiš seinen Essay „Homo poeticus, trotz allem“. Dieser politisch erfahrene Mensch wehrte sich gegen die ihm in der westlichen Welt zugeeignete Rolle des ausschließlich politischen Menschen und hielt fest: „Und vor allem dürfen wir nicht jenem abgedroschenen Mythos aufsitzen, wonach wir Jugos und übrigen Ungarn der Literatur zu entsagen, wonach wir einzig mit unseren politisch-exotisch-kommunardischen Themen zu unterhalten haben, wonach wir bedingt nur ein homo politicus sein dürfen, immer und überall, und wonach Poesie und Form, Spiel und Spielerei, metaphysische Obsession (Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?) und Liebesschwärmereien nicht unsere Sache sind, wonach auch Sonnenuntergänge uns nichts angehen, weil sie den literatur- und poesiebeflissenen Touristen vorbehalten sind, die eo ipso das Recht haben, die Sonnenuntergänge voll Bewunderung und ruhigen Gewissens anzuschauen.“
Nach wie vor erfahren wir das meiste über die südosteuropäischen Länder aus den Massenmedien, und dort findet sich selten etwas Schönes und Zartes. Negative und angstschürende Schlagzeilen sind und waren immer gefragt, für das Stille und Alltägliche bleibt selten Platz. Mag das auch die Natur von Berichterstattung und Journalismus sein, sie trägt nicht dazu bei, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Lebenswelten ohne Vorbehalte aufeinander zugehen und einander wirklich kennenlernen.
Zum Glück gibt es die Literatur!
Heute, in Zeiten des Friedens – sowohl für die südosteuropäischen als auch für die deutschsprachigen Länder – spricht alles für ein gutes Momentum, einander auf Augenhöhe zu begegnen (with a little help of some friends). Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen in den Gesellschaften ist und bleibt dabei eine europäische Konstante. Und doch oder besser gerade deshalb haben wir uns entschlossen, diese Zeit des Friedens zu nutzen und genauer hinzusehen: Was haben wir gemeinsam? Was ist unser Common Ground? Der Common Ground, den die Länder im Südosten Europas miteinander teilen, und auch der, der dem Südosten und dem deutschsprachigen Teil Europas gemein ist.
Das Leben eines Menschen bewegt sich zwischen seiner Herkunft und dem Versuch, im Laufe der Jahre eine Zugehörigkeit zu finden, ähnlich wie ein Metronom und kann darin einen Rhythmus finden.
Wir werden in einer Stadt geboren, leben später in einer anderen. Wir ziehen um und versuchen, in neuen Ländern und neuen Sprachen Fuß zu fassen. Wir versuchen, unsere Herkunft zu verstehen und anzunehmen. Wir versuchen erwachsen zu werden und eine selbstbestimmte Zugehörigkeit zu finden. Wir werden krank, leiden an Herzrhythmusstörungen, Depressionen und Ängsten. Wir tragen Masken. Wir lieben. Und wir betrügen. Wir glauben. Wir erfahren Enttäuschung und Verrat. Wir bekommen Kinder. Wir erleben, wie politische Systeme zusammenbrechen und wie Werte über Nacht wertlos werden. Wir sind Täter und Opfer. Wir geben uns unseren Fantasien hin, als Rettung vor dem grauen Alltag. Oder weil wir hoffen, dass die Bilder der Fantasie die Bilder des Schreckens übertrumpfen können. Wir können Revolutionen beginnen. Wir erleben Schmerz, erfahren Brüche und versuchen wieder eins zu werden. Wir sind füreinander da. Wir schreiben (engagierte) Literatur mit dem stillen Wunsch, unseren Beitrag zu leisten, dass den Menschen, die uns auf der Erde folgen werden, leidvolle Erfahrungen in Zukunft erspart bleiben. Oder, dass zumindest ein anderer unseren Schmerz und unsere Trauer bezeugt und wir das Gefühl haben, es war nicht vergeblich. Und wir finden in der Literatur das Paradies, aus dem wir meinen, vertrieben worden zu sein.
Die Literatur kann einer der Wege sein, uns, zumindest für die Dauer des Schreibens und des Lesens, wieder heil werden zu lassen. Wenn man von den ungewohnten, manchmal schwierig anmutenden Namen mit den diakritischen Zeichen absieht, wird Ihnen alles, was Sie hören, bekannt vorkommen. Manchmal ist nicht einmal ein zweiter Blick notwendig.
Im Programm, das sich in den nächsten vier Messetagen vor Ihnen und uns entfalten wird, liegt die Einladung, genauer hinzuschauen. Wir freuen uns, wenn Sie unsere Einladung annehmen.
Auf dem Leipziger Messegelände finden Sie das Common Ground – Traduki Forum in Halle 4, D 507. Vereinzelte Veranstaltungen auf dem Messegelände finden an anderen Ständen statt, u.a. dem Café Europa. Genauere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte dem Programm.
Orientierungshilfe: Die Hallen im Überblick