Als sinnstiftender Gegenpol zu dieser Abgrenzung dient seit jeher die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer. Man könnte behaupten, Kinder sind das wahrlich beste Zielpublikum für ihre Arbeit. Kinder streifen durch Alices Wunderland, Camelots Burgen und die Wälder der Gruselfee, ohne dabei einen Gedanken an Äqui – valenz und Treue zu verschwenden. Sie sind die perfekte Zielgruppe, sie rezipieren die Texte als Original und denken nicht an die – für sie ohnehin noch undefinierten – Sprachgrenzen und -barrieren. Für sie zählt nur das wahrhaft Wichtige, der Inhalt. Die Story.
Dieses ungestüme Herumtoben und Auskundschaften, ganz ohne Scheuklappen, spiegelt die slowenische Illustratorin Lea Zupančič wunderbar in ihren Bildern wider. In ihnen schwingt aber auch Melancholie und Besorgnis mit. Die runden, weichen, unbeschützten Formen deuten darauf hin, dass vielleicht nicht alles so einfach und bequem ist. Nicht jede Kindheit ist behütet, nicht jedes Kind umsorgt, nicht alle Kinder willkommen. Dies bezeugen auch die Autorinnen und Autoren unseres diesjährigen Programms. Sie schreiben über Grenzen in dieser oder jener Form. Aber Grenzen sind ein widerborstiges heimtückisches Ding, sobald man versucht, sich ihnen unterzuordnen und anzupassen, verschieben sie sich mir nichts dir nichts und lassen einen wieder im Regen stehen – lost in translation and transition.
Über diese Verschiebungen und Umbrüche schreiben Kapka Kassabova, die in Die letzte Grenze die Geister und Mythen aus dem Drei ländereck zwischen Bulgarien, Griechen – land und der Türkei heraufbeschwört, Gabriela Adameşteanu, die in Verlorener Morgen Bukarest durchstreift, Slobodan Šnajder, der in Die Repa ratur der Welt die Geschichte der Donausch waben in Kroatien erzählt, Tijan Sila, der in Die Fahne der Wünsche die Zustände innerhalb des totalitären Staates Crocutanien abbildet, und Mojca Kumerdej, die in Chronos erntet von den scheinheiligen und macht – gierigen Strippenziehern der Reformations – kriege berichtet.
Grenzen werden in Grand Tour überschritten, auch entlang der Una von Faruk Šehić. Zusammen mit ihm und dem Herausgeber der Lyrik anthologie, Jan Wagner, entdecken wir gemeinsam mit Lindita Arapi, Adisa Bašić, Pavle Goranović, Nikola Madžirov und Ana Ristović die poetischen Ecken und Winkel Europas. Auf dieser Reise durch den Kontinent begegnen wir auch Iva Brdar und Dino Pešut, die in ihren Found in Translation – in ihr habe ich mich erkannt 3 Stücktexten von der Sehnsucht der Jugend nach der Ferne und der Flucht nach vorne schreiben. Auch auf Bora Ćosić treffen wir auf dieser Route, der in seinem Buch das Wesent – liche auf den Punkt bringt – Immer sind wir überall. Doch was passiert, wenn man mit den Grenzen in sich selbst nicht zurechtkommt, es einem im eigenen Kopf unheimlich ist, der eigene Körper zur Falle wird? Darüber erzählen Daša Drndić in Belladonna, Marko Dinić in Die guten Tage, und die jungen Autorinnen Ioana Baetica Morpurgo, Frosina Parmakovska und Ana Schnabl in ihren Romanen und Erzählungen.
Viele weitere Autorinnen und Autoren haben durch und dank Übersetzungen wieder ihren Platz in unserem Programm und auf unserer Bühne gefunden – Jana Bauer, Beqë Cufaj, Saša Ilić, Lisandri Kola, Saimir Muzhaka, Olja Savičević, Ardiana Shala Prishtina, Vasko Raičević, Alexander Špatov, Dragan Velikić – und, dank der engen Zusammenarbeit mit Axel Halling vom Deutschen Comicverein, zum ersten Mal auch Comic-ExpertInnen und Autoren.
Besondere Aufmerksamkeit dieses Jahr gilt unseren Autorinnen und Autoren aus Liechtenstein. Gemeinsam mit ihnen, den liechtensteinischen Partnerorganisationen und der liechtensteinischen Botschafterin Isabel Frommelt-Gottschald feiern wir in Leipzig das 300-jährige Bestehen dieses Fürstentums im Herzen Europas, das trotz enganliegender Grenzen zu sich selbst gefunden hat. Das Literaturnetzwerk Traduki wünscht alles Gute zum Jubiläum und freut sich in seinem elften Jahr auf der Messe, Bulgarien als neues Mitglied willkommen heißen zu dürfen. Dass Traduki eine Erfolgsgeschichte ist, davon zeugt auch Eva Ruth Wemmes Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse für ihre von Traduki geförderte Übersetzung von Gabriela Adameşteanus Roman. Wir gratulieren und freuen uns, dass wir auf dieser Buchmesse fast 20 Neuübersetzungen präsentieren dürfen.
Der Geburtsort eines Menschen kann uns vieles über seine Lebensgeschichte verraten oder fast nichts. Einige verlassen nie ihren Geburtsort und schlafen in dem Haus ein, in dem sie zum ersten Mal erwachten. Ein reiches, (kon)zentriertes Leben. Anderen dient er als klobiger Anker, während eine A4-Seiten lange Fußnote ihre vielschichtigen, von Kriegen und Umbrüchen geprägten Identitäten dokumentiert. Auf viele unserer Autorinnen und Autoren trifft Zweiteres zu. Wir hoffen, sie spinnen auch weiterhin an ihren Narrativen, erzählen uns von sich und uns selbst, und übertragen und interpretieren für uns immer wieder aufs Neue unsere Taten und Gedanken. Jahr für Jahr.
Auch 2019 danken wir allen namenlosen Helden und guten Feen, all jenen Partnern und Mitwirkenden, ohne die dieses Programm nicht möglich geworden wäre.
Die Buchmesse findet in Leipzig statt, aber Traduki ist fernab von allen Grenzen, in unseren Köpfen – und Herzen – immer überall: Found in Translation.
Das Berliner Traduki-Team